Am Anfang war der Klang
Forschungsprojekt an der Universität The European Graduate School EGS
Früheste menschliche Wahrnehmungs- und Kommunikationsstrukturen basieren
auf dem Austausch klanglich-körperlicher Zeichen. Ihre Organisation zu sinnlich-symbolischen Einheiten und Interaktionsformen gilt als existentielle Grundlage
und Voraussetzung für die weitere Entwicklung.
Über diese Zeichen erzeugen darüber hinaus Sender und Empfänger ein Feld der Teilhabe, in dem sich die Aufmerksamkeit auf ein gemeinsames Drittes verlagert.
Im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung, die Beziehungsfähigkeit und die Entwicklung der Symbolisierungsfähigkeit ist das von herausragender Bedeutung.
Am Expressive Arts Institute Berlin erforschen wir die Qualitäten dieser Austauschprozesse. Im Mittelpunkt stehen dabei in unserem gegenwärtigen Forschungsprojekt
Beziehungen, die sich zwischen Musik und Formen leiblichen Hörens ergeben können.
Musik ist gestalteter Klang und beinhaltet alle Ebenen der Menschlichkeit: Gefühle, Gedanken, Bewegungen, Beziehungen, Entwicklung, Konflikt und Lösung, Spiritualität, Sozialität, Kultur usw.
In der leiblichen Resonanzfähigkeit des Körpers wiederum sind Fähigkeiten z. B. zum unmittelbaren Mitvollzug von Musik und zur Synchronisation mit ihr verankert.
In einem empirisch-phänomenologischen Forschungsprojekt wollen wir hier mögliche Relationen aufzeigen und auf ihre Bedeutung für die Entwicklung hin näher bestimmen.
Die Forschung zielt darauf, die praktischen Erfahrungen und die theoretische Ebene immer wieder wechselseitig der Reflektion zugänglich zu machen.
Wie wenden uns dabei der Bestimmung von Faktoren zu, die gleichermaßen zur Entstehung wie zur Erhaltung und Wiederherstellung von Gesundheit beitragen.
Heinrich von Kleist: „Denn nicht wir wissen, es ist allererst ein gewisser Zustand unserer, welcher weiß.“
Expressive Arts in der ästhetischen Bildung
Forschungsprojekt im Rahmen ästhetischer Bildung.
Barbara Hielscher-Witte ist Mitglied im künstlerisch-wissenschaftlichen
ExpertInnenrat der Internationalen Gesellschaft für Polyästhetische Erziehung IGPE
Die Expressive Arts, maßgeblich begründet durch Paolo Knill, basieren auf einem phänomenologischen Menschenbild, welches den Einzelnen als immer schon
eingelassen in die Welt durch den Leib begreift.
Was das Herz im Menschen, ist - metaphorisch gedacht - der Leib für den Menschen
in der Welt: ein polysinnliches und beziehungsstiftendes Lebensmittel. Vom Leib
aus und in ihm kommt Leben wieder an. Diese reziproke Koppelung von
Mensch und Welt ist unhintergehbar durch den Leib mitgegeben.
Der Mensch ist sich selbst in dieser Leiblichkeit nicht durchlässig. Sie wird ihm
erfahrbar im Ausdrucksgeschehen und in gestalterischen Akten, in denen sich
die Mensch-Weltbeziehungen materialisieren und so verfügbar werden.
Mit dem phänomenologischen Menschenbild einher geht in den Expressive Arts
auch die Auffassung, dass funktionelle und ästhetische Anteile im Menschen kopräsent
sind und jeweils durch unterschiedliche Handlungen angesprochen,
hervorgerufen, entwickelt und differenziert werden können. Dabei zeigt das ästhetische Erleben auf eine andere, den Vorgaben der funktionellen Handlungen
enthobene Beziehungsqualität zwischen Mensch und Welt.
Das künstlerische Tun in den Expressive Arts zielt auf die Aktivierung
und Sensibilisierung des Einzelnen für eben diese polysinnlichen und ästhetischen
Anteile im eigenen Leben. Sie sollen zu Ressourcen werden, die es ihm ermöglichen
selbstgestaltend tätig zu werden und so Anschluss zu finden an kulturelle
und soziale Aspekte und Errungenschaften der Menschheit.
Für die Entwicklung der Poiesis, d.h. für das respondierende gestalterische
Schaffen, sind Kinder wie Erwachsene gleichermaßen ansprechbar.
Im Bildungskontext besteht nach unserer Auffassung der Auftrag darin, geeignete
Rahmen bereitzustellen, in denen der Einzelne die Möglichkeit hat, sich für sein
eigenes ästhetisches Responsorium (Waldenfels) zu sensibilisieren und
• lernt, es als sinnlichen Weltbezug zu begreifen
• lernt, sich darin polyästhetisch zu betätigen
• lernt, das Material der Künste anzuwenden
um im Spannungsfeld zwischen Eigenem und Fremden zu Teilhabe, Erfüllung und
Autonomie zu gelangen.
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Susanne K. Langer
Philosophie auf neuem
Wege. Das Symbol im
Denken, im Ritus und
in der Kunst.
Franfurt am Main 1984
Jürgen Seewald
Leib und Symbol
Ein sinnverstehender
Zugang zur kindlichen
Entwicklung
München 1992
Kurt Lewin
A dynamic theory
of personality.
New York 1935
Lars Oberhaus
Musik als Vollzug von Leiblichkeit
Essen 2006
Daniel Stern
Die Lebenserfahrung
des Säuglings
Stuttgart 2003
Daniel Stern
Mutter und Kind –
Die erste Beziehung
Stuttgart 2000
Maurice Merleau-Ponty
Phänomenologie der
Wahrnehmung
Berlin 1966
Bernhard Waldenfels
Das leibliche Selbst
Frankfurt am Main 2000 |
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